Augenzeugenbericht eines der
"Putschisten" des Käppisturms
Kanonier Georg Kiefer-Bär (1823-1895)
Aus der Basler Chronik vom 13. November 1895:
Nach langem Leiden stirbt 72-jährig Georg
Kiefer-Bär, Besitzer des grössten Qunicaillerie-Geschäftes
der Stadt (Gründer der Firma Füglistaller als
Kaufhaus Georg Kiefer & Co) ein Mann, der auf
dem Gebiet der gewerblichen und kommerziellen
Bildung sich viele Verdienste erworben hat. In
der Politik, die er sehr aktiv mitmachte, war er
in jüngeren Jahren ein Führer der Linken, später
des Centrums. Er war Alterspräsident des Grossen
Rats. Im Militär erreichte er den Grad eines
Artillerie Hauptmanns, die Beförderung zum Major
lehnte er zu Gunsten seines Geschäftes ab.
Die Angehörigen der am Käppisturm teilnehmenden
2 Artilleriekompagnien (knapp 300 Mann) waren
grösstenteils auch Vereinsmitglieder des
Kanoniervereins Basel-Stadt, nicht nur
Artillerie-Wachtmeister Dr. Karl Brenner welcher
1863 zum Ehrenmitglied ernannt wurde, sondern
auch Artillerie-Lieutenant Georg Kiefer welcher
im Protokolleintrag 1849/50 erwähnt wird,
Quelle: Der Augenzeugenbericht erschien im
Basler Stadtbuch 1898, Seiten 214-217
Auf Montag den 4. August 1845 waren zwei
Kompagnien Artillerie in die Kaserne zur "Instruction"
einberufen. Politische Disputationen und
Machinationen waren die vorangehenden Tage an
der Tagesordnung; man war in Basel in zwei
Parteien geteilt: Konservative, solche waren
Aristokraten genannt, und Radikale, die
Jungmannschaft; besonders die Artilleristen
bekannten sich zur letzteren Farbe. Im
Allgemeinen huldigte man den neuen Ideen.
Eine Geschlechterherrschaft war dazumal
massgebend. Diese einzulösen, dem Volksgefühle,
den demokratischen Prinzipien mehr Rechnung
tragend, dazu waren die Zeiten angethan und das
junge Basel verlangte in diesem Sinne eine
Aenderung. Die ganze Schweiz war von dieser
Strömung durchzogen.
Ein geringfügiger Anlass gab den Ausschlag. Ein
in der National Zeitung erschienener Artikel
fand es unerklärlich, dass die Artillerie nicht,
gleich wie die Infanterie, Käppi tragen solle
und gab in einigen herben Worten seiner
Entrüstung Ausdruck. Der Verfasser, Redakteur
Dr.Brenner, selbst Artilleriewachtmeister, wurde
auf den Lohnhof zitiert, allda verhört und in
Arrest gesteckt. Begreiflich fand dieses
Vorgehen im Volke grossen Widerwillen und
Widerspruch,die aufgeregte Mannschaft verlangte
Brenners Befreiung. Es gährte, man befürchtete
alles Mögliche.
Nach beendigtem Morgendienst, etwa um 11 Uhr,
kamen wir Soldaten überein, Schritte zur
Befreiung Brenner zu thun. Es wurden Reden
gehalten über das, was gethan werden sollte. Ich
erinnere mich einiger Worte unseres Waffenschefs,
des Herrn Oberst Stehlin, der uns zur Ruhe
mahnte, aber folgendes beifliessen liess:"
Soldaten, wenn Ihr etwas unternehmen wollt, so
thut es nur nicht in Uniform." Die anderen
Offiziere verhielten sich still. Ich benütze
einen freien Moment, um das Klingenthal zu
verlassen, ich hatte in dem Geschäft auf der
Eisengasse notwendiges zu verrichten. Um 12 Uhr
hörten wir Musik und vernahmen den Schritt und
das Gejohl der ausgezogenen Artilleristen. Wir
sprangen unter die Thür, und beim Anmarsch der
Soldaten schrie man mir zu, mich anzuschliessen.
Der Korpsgeist that das seine und ich ging mit.
Dem Zuge voran unsere Unteroffiziere, fast alle,
vor und hinter dem Zuge viel Volk. Bei der
Leonhardskirche angelangt, fanden wir das
Hauptthor der Polizei geschlossen. Wir befahlen
zu öffnen, was begreiflich verweigert wurde.
Darauf verlangten wir einen Hammer und sofort
überbrachte man uns dieses Instrument. Ein uns
befreundeter Schlosser und Andere übernahmen es
das Thor zu sprengen oder einzuschlagen, was
auch in wenigen Minuten bewerkstelligt wurde.
Die Mannschaft, Bürger, Neugierige, Alles
stürmte in den Polizeihof. Dort fanden wir alle
Thüren ebenfalls verschlossen und hinter
denselben standen die bewaffneten
Polizeisoldaten. Im Hofe trat uns der damalige
Platzkommandant Oberst Burckhardt (Chef der
Stadtgarnison) mit anderen Offizieren entgegen
und ermahnte zur Ruhe. Auch Bürgermeister
Burckhardt gab sich ungemein Mühe, uns zu
beschwichtigen.
Die Stadtgarnison harrte auf den Befehl
vorzurücken. Glücklicherweise wurde diese Ordre
nicht gegeben, obschon einige hitzige Offiziere
darauf drangen. Landjäger waren im ersten Stock
hinter den Fenstern überall verteilt, so dass
die Aussicht auf ein Gelingen unseres Begehrens
schwierig war und von Minute zu Minute
schwieriger wurde. Schon war es über 12 Uhr und
wir waren noch am gleichen Platz. Ich sah, wie
eine Anzahl Artilleristen, unter denen ich
hauptsächlich Unteroffiziere bemerkte, sich aus
dem Staube machten und davonschlichen. Mir wurde
dabei bange und ich fürchtete mich vor den
Folgen. Was geschieht, wenn wir Brenner nicht
herauskriegen, was für Strafe steht uns bevor,
wenn wir unverrichteter Sache davonziehen?
Dies überlegend, berate ich mich kurz mit
einigen Kameraden; ich schlage ihnen vor, eine
Leiter zu holen, solche direkt vor den Eingang
des Gefängnisses hinzustellen, die Fenster des
ersten Stockes über dem Thore einzuschlagen und
so in das Zimmer zu dringen, wo wir zwei
Polizisten und zwei Gefängniswärter aufgestellt
sahen. Vor der unteren Thüre steht unser
Bürgermeister Burckhardt. Meine Freunde gaben
mir das Wort mir nachzufolgen, mich nicht zu
verlassen, koste es was es wolle; sofort holte
ich die mir wohlbekannte Leiter, stellte diese
im raschesten Tempo dem verwunderten
Bürgermeister und den Offizieren vor die Nase
und bestieg dieselbe. Mit raschem Druck und
Stoss wurde das obere Fenster geöffnet, vier
oder fünf Freunde folgten mir. Die in dem Gemach
befindlichen Gefängniswärter und das übrige
Personal verteidigten sich nur wenig. Der erste
Gefängniswärter (M), ein ehemaliger Artillerist,
war von unserem Schlag und unserer
Gemütsstimmung.
Wir forderten die Diener der Gerechtigkeit auf,
uns das Gefängnis Brenners zu zeigen. Anfangs
weigerten sie sich, aber bei der Drohung, alle
Thüren einzuschlagen, öffneten sie die Zelle von
Dr. Brenner. Dieser war bei unserem Eintritt
sehr betroffen und weigerte sich mit uns zu
gehen. Nichtsdestoweniger gab er nach und wir
stiegen die Treppe hinab. Unten war begreiflich
grosser Jubel und Juchhe. Zwei Burschen nahmen
Brenner auf ihre Achseln, der Zug formierte sich
und zurück ging es dem Klingenthal zu.
Alle Artilleristen waren zum Appell am Platz,
die Sache vorbei, aber was jetzt? Nach
vollendetem Dienst um 7 Uhr (1900 h)
versammelten wir uns in der Reitschule und
beratschlagten, was nun zu thun sei. Wir kamen
überein, Alle für Einen einzustehen und das
Uebrige abzuwarten. Was war nun die Folge dieses
Putsches? Des anderen Tages hiess es, wir seien
amnestiert, eine Nachricht, die uns nur angenehm
sein konnte.
Der Beschluss der Regierung wurde in der Stadt
gut aufgenommen, es hätte aus dieser
unbedeutenden Sache ganz gut weiterer Streit und
weitere Kämpfe entstehen können, welche durch
die Amnestie verhütet wurden. Der ruhigen
Haltung des Oberstlieutenant Burckhardt sei
heute noch erwähnt und ihm Dank gebracht. Das
war der sogen. Käppisturm im Jahre 1845.
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